Reaktionen auf „Der Biblioid“

Hasspostings, Cyber-Stalking, offene Drohungen – über das Internet hört man meist wenig Gutes. Ich hatte offenbar großes Glück: für Der Biblioid erntete ich ausschließlich positive Reaktionen.

Hier ein Auszug:

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Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen meinen Leserinnen und Lesern bedanken – die besten, die es gibt auf dieser Welt!

Der Affe und der Bär

Der Zufall wollte es, dass sich bei ihren Tourneen eines Tages die Wege des traditionsreichen russischen Anatoljewitsch-Circus mit jenen der amerikanischen Great Montecore Show kreuzten. Tangieren wäre wohl der korrektere Ausdruck, denn tatsächlich begegneten vereinzelte Vertreter des Tingeltangels einander in einem Zug, sodass sie zwar für einige Stunden die Wegrichtung, nicht aber das Reiseziel teilten.

Der Schimpanse Bobby, einer der Publikumslieblinge der Great Montecore Show, nützte die Fahrzeit, um eines der Kunststücke seiner Eröffnungsnummer zu proben, eine doppelte Rolle vorwärts. Naturgemäß war in seinem Käfig dafür nicht genügend Platz, sodass er fortwährend gegen die Gitterstäbe seines Käfigs krachte und damit in dem Güterwaggon, in dem er untergebracht war, einen sehr unangenehmen Lärm verbreitete.
„Grrrr“, brummelte es von nebenan.
Bobby übte unverdrossen weiter.
„GRRRRR“, brummelte es erneut.
Doch Bobby tat so, als hätte er nichts gehört, und übte weiter.
„GRRRRRR!!“, brummelte es abermals, doch diesmal so laut, dass man es unmöglich überhören konnte. Es kam von Pjotr, einem Tanzbären des russischen Anatoljewitsch-Circus, dessen Käfig gleich neben jenem von Bobby stand.
„Oh, Verzeihung, habe ich dich geweckt?“, fragte Bobby unschuldig.
„Ja“, brummelte der Bär ganz furchtbar grummelig.
„Das tut mir leid“, sagte Bobby, „aber ich muss meine Kunststücke üben“.
„Wieso musst du das?“, grantelte der Bär. „Ich kann hier niemanden sehen, der kontrollieren könnte, ob du übst oder nicht.“
„Hehe, nun ja, im naiven Sinne muss ich natürlich nicht“, meinte der Schimpanse altklug. „Aber wenn ich meine Kunststücke nicht gut beherrsche, kommen weniger Leute zu unseren Shows, und wenn weniger Leute zu unseren Shows kommen, geht unser Betrieb bald pleite.“
„Das, mein werter Kollege“, brummelte der Bär, „kann dir ja nun wirklich herzlich egal sein“.
„Das ist nicht egal“, empörte sich Bobby. „Du bist doch ein Tanzbär, richtig?“
„Ja, das bin ich“, bestätigte Pjotr.
„Also beherrscht du auch Kunststücke, richtig?“
„Ja, das tue ich“
„Wenn dir aber dein Circus gleichgültig ist, wieso machst du dann überhaupt Kunststücke?“
„Weil mich die Leute vom Circus sonst züchtigen“, brummelte Pjotr.
„Da haben wir den Unterschied!“, triumphierte Bobby. „Ich werde nämlich nicht gezüchtigt, sondern bekomme für meine Kunststücke Belohnungen – Äpfel, Bananen, Weintrauben, Birnen – alles, was das Herz begehrt!“
„Das sind doch nur zwei Seiten der gleichen Medaille.“
„Mag sein“, entgegnete Bobby, „aber immerhin tue ich meine Arbeit gerne tue und du nicht. Ich finde es toll, dass es mir die Show ermöglicht, mich weiterzuentwickeln! Welcher Affe kann schon von sich behaupten, 43 Kunststücke zu beherrschen? Und jedes Jahr kommen drei neue hinzu!“
„Durch brennende Reifen springen, mit Obst jonglieren, mit einem bescheuerten Hut auf dem Kopf auf einem Einrad fahren – das nennst du dich weiterentwickeln? Du tust ja gerade so, als tätest du all dies freiwillig“, grummelte Pjotr verständnislos.
„Nun, es steht mir fern zu prahlen, doch ich glaube schon, sagen zu können, dass mich die Menschen bei der Great Montecore Show sehr liebgewonnen haben. Wenn ich sie eindringlich darum bitten würde, dürfte ich sicherlich gehen. Also ja, das Leben, das ich lebe, lebe ich freiwillig!“, meinte der Schimpanse.
„Du machst mir Spaß!“, lachte Pjotr. „Da draußen gibt es doch längst keinen Lebensraum mehr für dich! Vermutlich würdest du nach wenigen Tagen darum betteln, wieder eingesperrt zu werden, um nicht verhungern zu müssen.“
„Armer Bär“, sagte der Affe, „ein so graues und düsteres Gemüt kann nur Ausdruck der schlimmen Verhältnisse sein, die in deinem Circus herrschen müssen.“
„Nunja, ich hätte es wahrlich besser erwischen können im Leben. Statt zu fressen, was ich will, und zu schlafen, wann ich will, und herumzustreunen, wie ich will, bin ich hier eingesperrt. Und wenn ich einmal nicht eingesperrt bin, muss ich dumme Kunststücke machen“, sagte Pjotr melancholisch. „Doch immerhin hat man mir meine Würde soweit gelassen, dass ich mir keine Illusionen über meine Lage zu machen habe.“
„Illusionen?“, fragte der Affe ungläubig. „Welche Illusionen?“
„Schau, das, was du als ‚Belohnungen‘ empfindest, nennt sich in Wirklichkeit ‚Instandhaltung von Betriebsgütern‘. Das, was du als ‚sich weiterentwickeln‘ bezeichnest, ist in Wirklichkeit Dressur. Und das, was du für ein selbstbestimmtes Leben hältst, ist in Wirklichkeit Erpressung“, sagte Pjotr, drehte sich zur Seite und schlief ein.

Für den Rest der Fahrt herrschte Stille im Waggon.